Aren Maydali
„Manchmal passieren Dinge die man nicht erklären kann. So war es gefühlt auch bei mir. Alles fing mit einem heißen Sommertag im August an. Ich war mit Freunden um zwei Uhr nachts draußen auf dem Feld verabredet, da an diesem Tag eine Sternschnuppennacht angekündigt war. Man konnte bis zu 50 Sternschnuppen in einer Stunde am dunklen Himmel beobachten. Also lagen wir mitten im Feld und haben diese beobachtet. Ich fand das ziemlich cool, weil ich bis dato noch nie welche gesehen hatte, beziehungsweise nicht bewusst realisiert habe. Jedoch konnte ich mich an einen Spruch aus der Kindheit erinnern: Wenn du eine Sternschnuppe siehst, dann schließ die Augen und wünsch dir was. Genau das tat ich. Man soll ja seine Wünsche nicht verraten, jedoch erwähne ich es hier trotzdem. In diesem Moment, als mein Kumpel und seine Freundin neben mir lagen und über den Himmel redeten schloss ich fest meine Augen und wünschte mir Gesundheit für die Menschen, die ich liebe und in meinem Leben um mich herumhabe.
Es war spät, als ich daheim ankam und mich schlafen legte – so gegen fünf Uhr morgens. Selbstverständlich schlief ich den nächsten Morgen länger als üblich. Als ich aufwachte sah ich einen verpassten Anruf auf meinem Handy, wobei ich die Nummer nicht zuordnen konnte. Ich rief zurück und es meldete sich eine Mitarbeiterin der Stefan-Morsch-Stiftung. In dem Moment konnte ich mit dem Namen der Stiftung nichts anfangen, bis mir alles erklärt wurde: Sieben Jahre zuvor, also 2014, absolvierte ich einen freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr. In der Kaserne wurde mit der Stefan-Morsch-Stiftung zur Typisierung aufgerufen und ich ließ mich als möglicher Stammzellspender aufnehmen. Ich habe da gar nicht groß darüber nachgedacht und es dann auch vergessen. Knapp sieben Jahre später stimmten meine Merkmale mit denen eines Leukämiekranken überein. In diesem Moment hatte ich nur noch meinen Wunsch vom Vorabend im Kopf, sodass ich gar nicht mehr realisierte was man mir am Telefon erzählte. Es war für mich kein Zufall, sondern ein Zeichen des Schicksals. Ich wünschte mir Gesundheit für meine Familie und plötzlich benötigt jemand meine Hilfe – für seine Gesundheit. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, willigte ich ein. Diese Entscheidung war für mich so klar wie Tag und Nacht. Was müsste ich für ein Mensch sein, Gesundheit für meine eigene Familie zu wünschen, aber nicht bereit zu sein, anderen zu helfen. Das wäre pure Heuchelei. So würde mein Wunsch auch nie in Erfüllung gehen.
Per Email wurden mir von der Stefan-Morsch-Stiftung die weiteren Schritte mitgeteilt. Zuerst sollte ich bei meiner Hausärztin eine Blutabnahme machen. Die Probe wurde dann zur Untersuchung in ein Labor geschickt. Als das Ergebnis der Laboruntersuchung bestätigte, dass ich wirklich der passende Spender bin, musste ich Anfang Oktober nach Köln in ein Entnahmezentrum zur Voruntersuchung antreten. Der Entnahmetermin wurde für Anfang November festgelegt. Als mein Glück jedoch seinen Lauf nahm, habe ich es geschafft, mir eine Woche vor der Voruntersuchung bei einem Fußballspiel das linke Bein zu brechen. Ich musste ins Krankenhaus und zum Glück nicht operiert werden. Trotz unheimlicher Schmerzen wollte ich den Termin bei der Voruntersuchung antreten. Ich wollte unbedingt Stammzellen spenden. Das hatte sich mittlerweile tief in mein Herz und meinen Kopf eingebrannt. Also machte ich mich am Vorabend der Untersuchung mit gebrochenen Bein auf den Weg in das knapp 200 km weit entfernte Köln. Bei der Voruntersuchung am nächsten Tag dann die enttäuschende Nachricht: Wegen der Schmerzmittel, die ich einnahm, musste der Termin zur Spende auf Anfang Dezember verschoben werden. Ich hatte solch ein schlechtes Gewissen der Person gegenüber, welche auf meine Spende angewiesen war, um weiterleben zu können.
Leider waren dann bei einer weiteren Blutabnahme meine Leberwerte nicht in Ordnung. So war es wieder nicht möglich, Stammzellen zu spenden. Der Termin wurde erneut verschoben. Dies war ein Schock für mich. Ich bekam ein noch schlechteres Gewissen. Stellt euch vor ihr seid auf etwas Lebenswichtiges angewiesen und jedes Mal, wenn ihr denkt, jetzt klappt es, bekommt ihr eine Absage. Das muss unerträglich sein. Nun ja, diesmal war mir bewusst, dass absolut nichts mehr schiefgehen durfte. Ich zog einen Monat meinen Trainingsplan diszipliniert durch und achtete auf eine gesunde Lebensweise. Das bedeutete auch, dieses Jahr an Weihnachten auf die gesamten Weihnachtsspeisen zu verzichten. Während meine Familie sich mit Plätzchen, Weihnachtsgans und viel Nachtisch vergnügte, aß ich Salat und trieb Sport.
Ende Dezember dann die letzte erneute Blutuntersuchung. Diesmal mit grünem Licht. Ich hatte es geschafft! Die Stammzellspende wurde für Anfang Januar geplant. Der Weg zum Ziel war nicht mehr weit. Ich musste mir vier Tage vor der Spende jedoch zweimal am Tag Bauchspritzen verabreichen. Das Medikament sorgt dafür, dass die Stammzellen aus meinem Knochenmark vermehrt in meine Blutbahn gelangen. Das kann Nebenwirkungen wie bei einer Grippe auslösen. Manche merken nichts, andere bekommen Gliederschmerzen, die sich mit den üblichen Schmerzmitteln behandeln lassen. Bei mir war es sehr unangenehm. Ich habe schon am zweiten Tag gemerkt, dass mein Knochenmark im Rumpfbereich arbeitete. Es fühlte sich an wie eine Pumpe die im Rücken sitzt, welche die ganze Zeit pulsiert. Es war sehr unangenehm und mit der Zeit wurde es immer unerträglicher. Nach einem Anruf über Silvester bei der Notfallnummer der Stefan-Morsch-Stiftung wurde mir jedoch gesagt, dass dies ein gutes Zeichen ist, da das Medikament scheinbar direkt anschlägt.
Vier Tage geplagt von schlaflosen Nächten und Schmerzen war es dann soweit. Früh morgens wurde ich mit beiden Armen an ein Gerät angeschlossen, das meine Stammzellen aus dem Blut filterte. Der gesamte Prozess dauerte etwa fünf Stunden. Das Unwohlsein ließ sofort nach. Nachdem genug Stammzellen in dem Blutbeutel gesammelt waren, wurden sie in einer speziellen Kühlbox gelagert. Ein Kurier nahm die Kühlbox direkt mit an den Flughafen, ohne sie aus den Händen zu geben.
Dieser ganze Kampf hatte sich gelohnt und ich würde es jederzeit wieder tun. Bei mir war es eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Normalerweise läuft dies viel unkomplizierter ab. Ich war jedoch am Ende des Tages einfach nur froh, etwas Gutes getan zu haben. Ich weiß heute, dass mein Empfänger 55 Jahre alt ist und aus den USA kommt. Aber eigentlich ist das für mich vollkommen irrelevant. Egal ob alt oder jung, reich oder arm, Frau oder Mann. Wenn wir einen Teil für das Gemeinwohl in dieser Welt beitragen wollen, dann müssen wir selbst damit anfangen. Das Leben wird umso schöner wenn man weiß, dass man mit seiner Tat auch gleichzeitig der Person gegenüber ein schönes Leben ermöglicht. Toleranz und Respekt sowie Brüderlichkeit und Zusammenhalt sind die einzig wahren Werte, die für uns Menschen noch ewig bleiben. Alles andere ist vergänglich.“