Hoffen – Helfen – Heilen

Schön, dass ich ausgewählt werden konnte…..
Der Anruf kam am frühen Morgen. Früh, weil die Nacht zuvor doch recht lang geworden war. Ich schleppte mich zum Telefon. „Hallo?“ „Guten Morgen“ begrüßt mich eine freundliche Stimme am anderen Ende. „Sie haben sich vor einiger Zeit typisieren lassen, das ganze war im Rahmen eines Firmenscreenings geschehen!“ Ja, ich erinnere mich.

Plötzlich kommt ein Anruf
Ist aber schon zehn Jahre her“, antworte ich brav. Damals war eine Kollegin an Leukämie erkrankt und jemand hatte diese Hilfsaktion organisiert. Jeder konnte daran teilnehmen, freiwillig. Hoffnung gab es nicht unbedingt. Denn es kommt einem Lottogewinn gleich, dass in der eigenen Firma ein geeigneter Spender gefunden wird. Aber möglich ist es natürlich und deswegen haben viele, sehr viele mitgemacht. Im Grunde ist es sowieso sehr selten, dass das eigene Zellmaterial irgendjemand gebrauchen kann. Aber es ist möglich und immerhin werden die Daten weltweit gespeichert. Wie gesagt, es war vor zehn Jahren und ich bin natürlich in dieser Zeit auch um zehn Jahre gealtert. Man kann nicht behaupten, dass ich mich geschont habe. „Es gibt eine Übereinstimmung, ihre Merkmale sind interessant, könnten für eine Spende in Frage kommen“, ergänzt die freundliche Stimme ruhig. „Ok“ sage ich. Mein Herz schlägt kräftiger. Ich bin aufgeregt. Damit habe ich gar nicht gerechnet. Eigentlich habe ich die Aktion schon fast wieder vergessen. Naja, das Leben geht halt weiter und man verdrängt schnell mal etwas. Meine alten Zellen könnten gebraucht werden.

Verwirrt
„Und ….. was bedeutet das genau?“, frage ich. Mir wird kribbelig im Bauch. „Noch heißt das nichts. Wenn Sie einverstanden sind, würden wir Ihnen gerne ein Blutentnahmeset zuschicken, damit gehen Sie zu ihrem Hausarzt und lassen sich zwei Proben entnehmen. Die werden an zwei Labore geschickt. Eine Blutprobe gibt Auskunft darüber, ob Sie erkrankt sind. Hepatitis, HIV und etliche andere Erkrankungen. Die andere Probe gibt Auskunft darüber, ob ihre Stammzellen wirklich geeignet sind, um für die Transplantation in Frage zu kommen. Das entscheiden letztlich die Ärzte. Wenn es der Fall wäre, dann würden wir noch einmal mit Ihnen sprechen“. Wir würden Ihnen auch ein paar Informationen zuschicken, was in diesem Fall auf Sie zukommen könnte, falls Sie spenden möchten!“ Sie müssen jetzt noch nichts entscheiden. „Ok, das können wir machen, schicken Sie das mal alles her, ich schicke das Blut dann zurück!“ „Es kostet Sie nichts, die Boxen sind adressiert und frankiert. Nach der Blutentnahme sollten Sie die Proben aber schnell zurücksenden. Die sind nur etwas vier bis fünf Tage frisch!“ jetzt lacht er ein wenig. Mein Blick schweift über den vollen Aschenbecher vor mir auf dem Tisch, hinüber zu einige leeren Bierflaschen. Mit den Eckzähnen knete ich auf meiner Unterlippe herum. Dann zünde ich mir eine Zigarette an. „Vielleicht hätte ich vernünftiger Leben sollen, die letzten Jahre“, denke ich.

Hätte ich gesünder leben sollen?
Ich sauge den Rauch meiner Zigarette ein und meine Lunge schmerzt dabei ein wenig. Oder bilde ich mir das nur ein? „Ich bin aber nicht mehr ganz so frisch!“ entgegne ich etwas zaghaft, „immerhin fast fünfzig. Eventuell erwartet der Empfänger etwas … Jüngeres?“. Die Stimme am anderen Ende des Hörers lacht entspannt auf. „Das passt schon, bis Sechzig werden in Deutschland Spenden gerne genommen. „Naja“, denke ich stumm. Ich glaube meine Knochen knacken zu hören, der Atem ist kurz und flach. Ist da ein Röcheln oder Klappern in mir zu hören? Rückenschmerzen, ja, ganz deutlich, da sind Rückenschmerzen. Ich mutiere zum eingebildeten Kranken. Alle Sünden der Vergangenheit stehen plötzlich mahnend Spalier und schauen mich grimmig an. Mein Mundwinkel zuckt nervös. Herzrasen, ich bekomme einen Herzinfarkt, oder? „So machen wir das!“, antworte ich mit klarer Stimme. Ich höre mich. Ich klinge normal und kräftig. Die Heerschar meiner spalierstehenden Sünden jubiliert in mir auf. Ich glaube zu spüren, wie sie sich gegenseitig triumphierend die Hände auf die Schultern schlagen, während ich versuche, der Antwort meines unbekannten Gegenüber zu lauschen. „Pst!“, denke ich ungehalten in mich hinein, ich verstehe doch kein Wort, Schnauze, jetzt!“ „Dann schicken Sie mal alles her“, spreche ich in den Hörer. Dann erklärt er mir kurz, was ungefähr auf mich zu kommen wird. Dass ich gründlich vor untersucht werde. Mir ist etwas mulmig. „Werden mir die Stammzellen dann später aus dem Rückenmark gezogen? Das ist doch nicht ungefährlich“, frage ich unwissend. Ich erfahre, dass es ein weit verbreiteter Irrtum ist. Man erklärt mir, dass es so nie war und nie so genommen wurde. Schlicht: Ein Märchen. Es wird jetzt bestenfalls aus dem Blut gewaschen. Manchmal aus dem Becken genommen. Das letztere würde etwas schmerzhafter sein und sich nach der OP etwa wie eine Prellung anfühlen. Für einige Zeit, eine kurze Zeit. Beide Verfahren sind für mich selbst relativ sicher, im Allgemeinen gut verträglich und bisher seien noch keine Spätfolgen registriert worden, sie sind also eher als unbedenklich einzuordnen. Etwas unangenehm, aber nicht so belastend wie früher. „Naja“, sage ich, „im Vergleich zu dem, was der kranke Empfänger zu erleiden hat, ist das wohl eher Nichts!“

Ein kranker Vogel sitzt plötzlich vor meinem Fenster
Etwas Zeit kostet es natürlich auch und für ein paar Tage wird mein Leben ein wenig durcheinander geworfen sein. „Ja, egal, wir machen es, denke ich“, stößt es aus mir raus und bin mir auch schon sicher, dass ich es auch so meine. Ich habe mich schon entschieden, mein Gegenüber am Telefon drängt mich zu Nichts. Er beschreibt, gibt Auskunft, man spürt, dass er mir Zeit gibt und sich Zeit für dieses Gespräch genommen hat. Ich habe das Gefühl, ich könnte noch stundenlang mit ihm quatschen und Fragen stellen. Er gibt mir das Gefühl, solange mit mir zu sprechen, wie ich es jetzt möchte. So etwas habe ich noch nie am Telefon gespürt. Naja, nicht so. Und ja, noch möchte ich etwas sprechen. Nicht alles, was ich sage, macht jetzt Sinn. Ihn scheint das nicht zu stören. Er sucht nach passenden Antworten. Wir sind uns fremd und doch scheint da jetzt ein Vertrauter zu sein. Aus einem Unbekannten wird ein …. wie kann man das beschreiben? Er ist mir nach wenigen Minuten nah. Er scheint mir offen und ehrlich. Er ist da und doch nicht, weil er es versteht, sich auf seltsame angenehme Art völlig zurück zunehmen. Ich bin von der ersten Sekunde unserer „Begegnung“ Mittelpunkt, er will das nicht sein. Es ist meine Zeit für Fragen und Entscheidungen, er bietet mir an, mich jetzt dabei zu begleiten. So ungefähr erlebe ich das Gespräch. Ehrlich gesagt, einzigartig. „Ob er geschult ist, oder einfach nur professionell und sensibel?“, denke ich und versuche misstrauisch zu sein. Geht aber nicht. Wie ich es auch drehe und wende und versuche zu analysieren, ich kann nichts Falsches erkennen. Die Stimme ist weich und offen. Ich sage es noch einmal: So habe ich ein Gespräch noch nie erlebt. Ein bisschen wie nach Hause kommen, nachdem man zuvor einfach abgehauen war, jahrelang auf Tour war und dann plötzlich wieder auftaucht. Die Tür geht auf und man wird ohne Worte und Fragen oder Vorhaltungen einfach in die Arme genommen. Herzlich willkommen! Ich bin Teil einer internationalen Familie von Spendern.

Startseite


Ich gebe ihm das Gefühl, dass wir das Gespräch jetzt beenden können. Er soll die Blutentnahmepacks schicken und ich werde ihm mein Blut schicken. Mein Gegenüber verspricht mir, dass man sich sofort bei mir melden wird, wenn man mehr weiß und dass ich mich immer und jederzeit melden kann, wenn ich Fragen habe. Und er verspricht, dass ich immer einen Ansprechpartner habe, für alle Fragen. Nein mehr, dass ich ab jetzt einen persönlichen Ansprechpartner haben werde, wann immer ich möchte.
Das Telefonat ist beendet. Jetzt sitze ich an meinem Tisch. Bewegt. Ist es wirklich so gewesen. Hat es den Anruf gerade eben wirklich gegeben? Wir haben alle meine Daten aktualisiert, Telefonnummer, Adresse und so und ich habe sie vertrauensvoll herausgegeben und ich habe kein schlechtes Gefühl. Irgendwo in Deutschland liegt ein Mensch, der meine Hilfe braucht. Der etwas braucht, das nur ich ihm im Moment bieten könnte. Noch ist nichts sicher, noch immer kann es sein, dass ich doch nicht in Frage komme. Schon jetzt möchte ich das nicht, schon jetzt möchte ich gerne meine Zellen teilen. Schon jetzt spüre ich eine erste Verbundenheit mit dem, mit der Unbekannten.

Dann macht man sich Gedanken.
Ob er gerade Schmerzen hat, Angst, welche Sorgen trägt er tagtäglich mit sich. Welche Hoffnung? Ob er von mir weiß? Nein, das wäre zum jetzigen Zeitpunkt wohl zu früh? Oder. Wann teilt man ihm oder ihr wohl mit, dass es mich gibt, den Menschen, dessen Zellmaterial relativ viele Übereinstimmungen mit seinen zeigt und Ärzten eine Möglichkeit zur Heilung verspricht?

Spiel mit mir!
Mein Hund mahnt mich. Mit seinem gelben Gummiball im Maul steht er stumm vor mir. Doch unmissverständlich: Er will jetzt raus! Zeit für ihn. Zeit für Spiel, Spaß und Unterhaltung. Er muss seine analogen Einträge an Mauern, Häuserwänden, Büschen und Bäumen hinterlassen und nachlesen, was die anderen Hunde im Viertel an Informationen für ihn und andere hinterlassen haben. Wir ziehen also los. Er dreht schnüffelnd seine Runde, ich hänge in Gedanken noch immer dem Gespräch von eben nach.

Spiel mit mir!
Wer hat mich angerufen? Ein Mitarbeiter der Stefan Morsch Stiftung. Gedankenverloren drehe ich meine Runde mit Djava. Stefan Morsch war Anfang der 1980er Jahre an Leukämie erkrank. Mit 16 Jahren. Was für ein Drama. Mit 16 habe ich meine erste Freundin geküsst und sie vermisst, wenn wir mal ein paar Stunden getrennt von einander waren. Wir müssen ungefähr gleich alt sein. Da bekam er seine Nachricht über eine tot gefährliche Krankheit, die in ihm sitzt. Die Rechtslage erlaubte damals keine Zellspende von Fremden. Der Namensgeber der Stiftung ist Stefan Morsch. Er lebte bis Mitte der 1980er Jahre im Südwesten von Rheinland-Pfalz. Genauer in Birkenfeld. Plötzlich bekam er die Diagnose „Leukämie“. Damals wie heute eine Diagnose, die man nicht bekommen möchte, die das Leben von Grund auf verändert, alles andere erst einmal in den Hintergrund stellt. Die Beschäftigung auch mit dem Tod steht an. Und für ihn eben als sechszehnjähriger. Das ihm 1984 in den USA Knochenmark transplantiert wird, ist eine kleine Sensation.
Stefan ist der erste Europäer, bei dem diese Behandlung durchgeführt wird. Dahin war es für ihn und seine Familie ein langer Weg. Denn die Stammzellentransplantation steckte weltweit noch in den Kinderschuhen, in Deutschland durften zu dem Zeitpunkt nur Stammzellen von nahen Verwandten transplantiert werden. Doch in Stefans Familie fand sich kein geeigneter Spender.
Im Juli 1983 entdeckte Emil Morsch in einer Zeitschrift zufällig einen Artikel über die Knochenmarktransplantation einer 8-jährigen und eine Londoner Organisation, die eine Liste mit 50.000 potentiellen Knochenmarkspendern führte. Vater Emil Morsch setzte sich umgehend mit dieser Organisation, den „Nolan Laboratories“ in London in Verbindung und die Spendersuche für Stefan konnte beginnen. Die Chance einen geeigneten Spender zu finden lag bei 1: 700.000. Innerhalb der 50.000 potentiellen Spendern, die zu diesem Zeitpunkt registriert waren, wurden erst einmal 94 Personen ausgewählt, deren Gewebemerkmale in drei der vier Genorte, die damals für eine Transplantation notwendig waren, übereinstimmten.
Im Verlauf der Untersuchungen zeigte sich, dass für Stefan eigentlich nur drei Spender in Frage kamen. Ausgewählt wurde schließlich Terence Bayley aus Großbritannien. Stefans Krankheit kam in ein kritisches Stadium und die Transplantation musste so schnell wie möglich durchgeführt werden. Am 31. Juli 1984 wurden Stefan in Seattle die fremden Stammzellen übertragen. Obwohl die Transplantation erfolgreich war, starb Stefan am 17. Dezember 1984 an den Folgen einer Lungenentzündung. So erzählt es die Stiftung auf ihrer Internetseite.
Als letzten Wille bat Stefan seine Eltern, diese Idee weiterzuführen und in Deutschland zu etablieren. Aus diesem Wunsch ist 1986 eine Stiftung geworden. Heute hat die Stefan Morsch Stiftung 380 000 Daten gesammelt. 380000 Menschen typisiert und in die Zentrale Spenderdatei Deutschlands eingespeist. Und ich bin einer von ihnen. Und zwölf Jahre nach dem ich meine Blutprobe der Datenbank zur Verfügung gestellt habe, kommt der Anruf. Damit habe ich nicht mehr gerechnet, auch nicht mehr oft daran gedacht. Ein Mensch braucht meine Hilfe! Ich bin aufgeregt. Ob ich wirklich der richtige bin? Hab ich nicht zuviel gefeiert, die letzten Jahre. Ich rauche! Ich habe nicht viel Zeit damit verbracht, mir Gedanken über Krankheiten zu machen. Ich habe gelebt. Manchmal heftig. Jetzt braucht mich jemand. Wie er wohl aussieht. Ist es ein Mann oder eine Frau? Alt oder jung? Nett? Ich schüttle mich kurz. Es ist egal. Es ist anonym und das ist auch gut so. Ich will es eigentlich nicht wissen. Warum auch? Wozu auch?
Das Päckchen mit den Blutentnahmesets trifft zwei Tage nach dem ersten Anruf bei mir ein. Ich öffne es und betrachte die beiden inne liegenden und an unterschiedliche Labors adressierten kleineren Päckchen. Dazu gibt es ein Anschreiben, in dem mir die nächsten Schritte noch einmal schwarz auf weiß erklärt werden. Auch eine Broschüre zur Stiftung. Telefonnummern zu meinem persönlichen Kontakt und eine Selbstauskunft über meinen Gesundheitszustand. Ich werde gebeten zu meinem Hausarzt gehen und mir die beiden Blutproben ziehen zu lassen. Ich habe keinen Hausarzt, weil ich eigentlich nie wirklich krank bin und Arztbesuche eher meide. 500 Meter von meiner Bude ist ein Ärztehaus. Dahin will ich gehen, am besten gleich und einen Termin machen. Dann habe ich es hinter mir und die nächsten Tage bin ich sowieso beruflich recht stramm ausgelastet. Ich habe mehrere Sendungen zu planen und fahren. Da wird kaum Zeit für Blutabzapfen sein.
Ich gehe also los, Djava schnüffelt sich an meiner Seite den Weg entlang. Ich bitte ihn, kurz zu draußen auf mich zu warten. Er würde mich lieber nach Drinnen begleiten. Wir diskutieren das kurz aus und entscheiden dann gemeinsam, dass er eben doch vor der Türe „Sitz“ macht, ich ihm dafür eine mittlere Portion Leckerli rausrücke. Die verschlingt er vorbildlich sitzend, um dann den gerade geschlossenen Konsens einseitig wieder brechen zu wollen. Die Leine beendet die Diskussion. Sein zerknittertes, schiefes Gesicht folgt meinem Gang in das Ärztehaus. Als ich es betrete, wirft er mir noch ein kurzes, „Vergiss mich hier nicht!“ hinterher!

Ok, ich warte!
Oben am Empfang warte ich kurz, bis die Dame vor mir ihre Sorgen losgeworden ist. Dann bin ich auch schon an der Reihe. „Ich würde gerne einen Termin machen. Irgendwann heute. Mir muss Blut abgenommen werden. Ich komme eventuell als Stammzellenspender in Frage und die Proben müssen dann verschickt werden“, erkläre ich mein Kommen. „geht das kurzfristig?“ Das Wartezimmer ist voll. Die Arzthelferinnen begrüßen mich ganz besonders herzlich. „Wieso Termin machen, kommen Sie mit, dass machen wir gleich jetzt!“, lächelt sie mich an. Ich schaue in den voll besetzten Wartebereich. Die riesige Frau geht schon los, öffnet eine Tür und bittet mich „Platz“ zu nehmen. Ich folge ihrer Bitte, bekomme dafür keine Leckerli, aber ich bin ja auch schon vorgezogen worden. „Das ist doch toll! Sie können einem Menschen in Not helfen“, beginnt sie freundlich auf mich einzureden, während sie meinen Arm packt, frei macht und danach die Päckchen öffnet. Sie verschafft sich kurz einen Überblick, greift erneut zu und drückt meine Hand am nun ausgestreckten Arm fest an ihre Brust. Sie ist mindestens einen Kopf größer und doppelt so schwer wie ich. „Schöne Venen“, freut sie sich, eine Schlinge liegt um meinen Arm, die Venen in der Beuge springen fast aus meiner Haut und schwupp ist die erste Nadel auch schon in meiner Beuge. „Ich habe mich auch typisieren lassen, mich hat aber noch keiner gebraucht. Tolle Sache. Wir brauchen viele Spender. Sie glauben gar nicht, wie viel Krebspatienten warten!“ Schon ist die zweite Kanüle in mir. Schamrot füllt sich die Plastikröhre mit meinem Blut. Unten markiert Djava derweil den kleinen Vorplatz und begrüßt ein vorbei wedelndes Rottweilermädchen.
„So, damit gehen Sie jetzt am besten direkt zur Post. 4-5 Tage hält das Blut sich frisch. Aber wir haben ein Wochenende dazwischen. Also nicht mehr lange warten!“ Sie reicht mir ein Zellstofftuch. „Zu drücken, fest zu drücken! Sehr schöne Venen, dass dürfte nicht mal einen blauen Fleck geben“, und schaut zufrieden auf ihr Werk, „ich sage Ihnen, da hab ich schon ganz andere Dinge erlebt. Gerade letztens, da hab ich drei oder viermal zustechen müssen, und manchmal reicht auch das nicht!“ Ich glaube, dass mir schwindelig wird. Korrigiere dann aber meine Wahrnehmung und auch den spontanen Gedanken an Flucht. „Nimmt man Ihnen die Stammzellen aus dem Becken?“ „Ich weiß nicht, sie haben von einer Art Blutwäsche gesprochen“, antworte ich brav. „Das ist gut“, antwortet die große, wuchtige Frau mit der großen Nase. „Das wird schon“. Sie ordnet die Blutproben den Päckchen zu und übergibt mir alles versandfertig. Mit einem Lächeln verabschiedet sie sich. Das war es. Für das erste. Jedenfalls hier. Djava begrüßt mich mit Pom-Poms und Blasmusik. Dann trollen wir zur Post und ich gebe mein verpacktes Blut ab. Schnell fülle ich noch die Selbstauskunft aus, alles geht auf die Reise und ich zünde mir vor dem Gebäude eine Zigarette an. Geschafft. Wer weiß, ob ich wirklich für die Spende in Frage komme? An meinem Arm klebt ein kleines Stückchen Pflaster, das mich ein wenig glücklich macht. Fremde Menschen rauschen teilnahmslos um mich herum, bekommen von mir und all dem natürlich nichts mit. Warum auch, ich habe mir lediglich ein wenig Blut abnehmen lassen, wenige Milliliter. Djava legt – was für ein seltener Moment – seinen gelben Ball zu meinen Füßen ab und schaut erwartungsfroh zu mir hoch. Als mein Blick seinen trifft, verziehen sich seine Lefzen ein wenig ins Schiefe und seine langen Ohren zucken kurz nach oben. „Spielen?“ Die Ampel an der Kreuzung schaltet auf grün und wir ziehen weiter. Djava zeigt dabei keine Enttäuschung. Er ist Meister im Verzeihen und nie nachtragend. „Ist das der Beginn einer kleinen Reise, oder wird sie hier auch schon wieder zu Ende sein?“ verlieren sich meine Gedanken. Ich muss warten, es hilft nichts, wir brauchen die Ergebnisse der Laborwerte, um zu wissen, ob und wie es weitergeht.

Bitte um Spende
„Ihre HLA-Gewebemerkmale wurden bestätigt und sind mit denen des Patienten identisch, so dass Sie als Stammzellenspender für diesen Patienten geeignet sind!“ Es ist kurz vor fünf Uhr, vier Tage nach dem ich alles zur Post gebracht habe, als ich wieder von meiner Spenderbetreuerin angerufen werde. Sie erwischt mich bei der Arbeit.
„Oh“, das ist doch schön! Und was jetzt?“ Ich freue mich, mittlerweile habe ich mich mit meinem anonymen Empfänger geistig angefreundet. Ich hätte ihn vermisst, wenn das Ergebnis anders ausgefallen wäre.
„Wir brauchen jetzt noch konkretere Laborbefunde. Bei den nächsten Untersuchungen geht es um ein noch detaillierteres Blutbild und um ihren Gesundheitszustand. Wenn Sie bereit sind, würden wir Sie gerne zur umfangreichen Untersuchung in die Charité bitten!“, ihre Stimme klingt nicht fordernd, sie erklärt mir die nächsten Schritte, die auf mich zukommen und wie sich das für mich auswirkt und anfühlen wird. Nichts dramatisches, maximal lästig, wenn überhaupt. Vier bis fünf Stunden soll der Check-up dauern. „Ja, jetzt ziehen wir das durch, eine Typisierung macht ja nur Sinn, wenn man dann auch die nächsten Schritte geht. Wir machen das! Nur wann?“
„Das ist das Problem, es wird dringend, die Zeit wird knapper als gedacht, können Sie in zwei Tagen kommen?“ Ich grübele, ich habe einen Job diese Woche. Absagen bringt alle Kollegen in eine blöde Situation. Geht auch der kommende Montag, da könnte ich am Vormittag vor meiner Arbeit am Abend?“ frage ich zögerlich. „Ja, Montag, das geht auch. Toll“ Sie freut sich wirklich. Ich mich auch. Ein Kompromiss, der den wartenden Patienten zwei Tage mehr in Ungewissheit lässt. Noch immer kann ich als Spender ausfallen. Ich könnte selbst eine Krankheit in mir tragen, von der ich nichts weiß, es könnten andere Gründe gefunden werden, warum ich doch noch ausfalle. Meine Betreuerin verspricht mir, noch mal alle Infos schriftlich zukommen zu lassen und unterhält sich noch eine Weile, bis von meiner Seite keine Fragen mehr offen sind. Wir sind in einer neuen Stufe angekommen. Die dritte Stufe, wie sie meint. Jeder dritte Spender, der es in diese Stufe gebracht hat, wird am Ende dann auch wirklich spenden. Immerhin. Es wird also ernster und konkreter. Für die kommenden sechs Wochen bin ich jetzt „reserviert“ für den Unbekannten, der in meinem Fall irgendwo aus Deutschland kommt. Das hätte auch anders sein können. Die Daten werden zentral gesammelt und weltweit bereitgestellt. Welche Länder daran wohl angeschlossen sind? USA wohl sicher, aber schauen da beispielsweise auch Ärzte aus Somalia reingucken, oder gibt es diese Medizintechnik nur für ausgewählte, die „reichen“ Staaten? Keine Ahnung. Ich sollte mal nachfragen. Die Untersuchung soll um acht Uhr dreißig beginnen. Das wird hart, ich habe Spätschicht und werde bis drei Uhr früh arbeiten müssen. „Glaubst Du an Zufälle?“, frage ich mich. Im Fernsehen lief am Abend „Sieben Leben“ mit Will Smith. Eigentlich kein Männerfilm, für die einen ein schmieriger Schmachtfetzen, für andere ein bewegendes Drama. Es geht darin um einen Mann, der das Wohl anderer über das eigene stellt. Ja, eigentlich unerträglich schnulzig. Aber die Frau, die er liebt, die bekommt am Ende …. egal…will nicht zuviel verraten, falls sich noch jemand durch den Schinken quälen möchte oder muss. Es geht eben auch um Organspende, wenn auch nicht nur. Aber ich sehe vor allem dies. Jetzt. Seltsam. Die Synchronisation der Ereignisse oder eben nicht. Ganz wie man es sehen möchte. Die Spendenbetreuerin am Telefon dachte zunächst einfach nur an ein anderes Wahrnehmen von Dingen, die man sonst nicht sieht, weil sie kein Thema sind. Das finde ich ein wenig zu bedeutungslos, ich will an etwas magisches glauben. „Ja“, sagt sie, kann man auch. Ist auch ganz schön. „Hm“, denke ich, was aber ist mit der plötzlichen Begegnung mit einem Menschen, der vor sieben Jahren die Niere eines anderen Menschen bekommen hat und aus der Erfahrung ein Buch geschrieben hat und dafür auch noch den Leipziger Buchpreis 2013 bekommen hat? Der ist nämlich plötzlich in mein Leben getreten. Für wenigen Augenblicke und eben genau jetzt. Und erzählt und erzählt. Aus zwar der Perspektive des Empfängers, von seinen Ängsten vor dem Eingriff, der Hoffnung auf ein sorgenfreieres Leben und der zarten Liebe, die er irgendwann für seinen anonymen Spender entwickelt hat. Er hat übrigens zunächst an eine Frau gedacht. Dieser Mann und sein persönliches Erlebnis, auch nur ein Zufall? Kann doch sein, natürlich. Ich habe jedenfalls zuvor noch niemanden mit so einer Geschichte getroffen. Und er hat sich Zeit genommen und erzählt und wir sind auch etwas verwundert, dass wir ein Thema haben. Auf seltsame Art sind wir vertraut und nah. Für zehn Minuten. Wann unterhält man sich schon mal für zehn Minuten intensiv mit einem Fremden und auch über sehr persönliches, um dann wieder auseinander zu gehen? Begegnungen. Wenn man offen ist, geschehen Dinge.
„Die Fahrkarte, bitte!“ stört mich ein schlecht gekleideter Mann. Seine Stonewash-Jeans geht mir schon jetzt auf den Senkel. Morgens um halb acht kann man diese Typen noch weniger ertragen, als zu anderen Zeiten. So, wie man es ihm beigebracht hat, hält er mir einen Ausweis hin. Was soll das eigentlich? Kann sich doch eigentlich jeder selbst photoshoppen und wie soll ich eigentlich wissen, wie ein Dokument auszusehen hat, das ihn berechtigt, mich jetzt zu nerven. Ich fahre über den Berliner S-Bahnring. Mein Ziel: Das Benjamin Franklin – einst ein Tempel modernster, westlicher Medizin. Heute steht also die letze Untersuchung an. Jetzt geht es ans Eingemachte. Hier werde ich gecheckt, ob ich gesund bin und ein richtig fettes Blutbild gezogen. Organe gescannt usw. Jetzt nervt der Typ mit dem schlecht sitzenden Resthaar. Einige digitalen Bußgeldnotierarbeitsgeräte trägt er am Gürtel, wie Polizisten ihre Handschellen. Typ passt zu typisieren, denke ich kurz, der Gedanke gefällt mir dann aber doch nicht und witzig ist es auch nicht. Und er will sowieso nur meinen Fahrschein und nicht reimen. Ich ziehe meine Kopfhörer aus den Ohren und tue so, als ob ich ihn nicht verstanden habe. „Danke!“, ich möchte nicht spenden!“ Er glotzt mich blöd an. „Fahrschein, bitte!“ Um ihn ein wenig zu nerven und ihm seine Zeit zu stehlen, zeige ich auf seinen schlapp runterhängenden Ausweis. Er hält ihn mir noch einmal kurz hin, ich lese den langweiligen Text, nicke kurz und krame umständlich nach meinem Portemonnaie. Meinen Fahrschein habe ich in der Hosentasche. Jetzt gesellt sich brutal sein Kollege zu uns, sie umzingeln mich. „Einen Moment, haben wir gleich, muss ja hier irgendwo sein“ nuscheln ich vor mich hin. Jetzt zieht der Erste sein Gerät von den Hüften. Ich suche in meinen Jackentaschen. Auf mir heften die Blicke vieler im Zug. Wir fahren in den nächsten Bahnhof ein. Die Türen des öffnen sich und einige steigen hastig aus, andere steigen zu. „Bitte steigen Sie mit aus. „Ah, hier ist er ja! Die Beiden schauen genervt. Die Tür schließt. „Der ist nicht mehr gültig!“ wird mir meine Karte vorwurfsvoll aber auch siegesgewiss zurückgegeben. Der Wagen setzt sich wieder in Bewegung. „Ach, ne, hier, das ist mein Fahrschein. Jetzt gebe ich ihnen mein Ticket aus der Hosentasche. Enttäuscht trollen sie sich von mir weg. Sie müssen warten, bis zum nächsten Bahnhof, um einen neuen Kontrollgang durch das nächste Abteil angehen zu können. Das versaut ihren Schnitt. 20 Minuten später drücke ich die Tür zur Charité auf.

1. Untersuchung
Ich werde freundlichst empfangen. Mein Personalausweis verlangt, um mich als den gewünschten potentiellen Spender zu identifizieren, ein Kaffee gereicht und Kekse angeboten. Ich muss ein Formular ausfüllen. Drei Seiten zu meinem Gesundheitszustand, Vorerkrankungen und Auslandsaufenthalten. Dann wird der Blutdruck gemessen und vier oder fünf Ampullen Blut abgenommen, die sofort ins Labor getragen werden, dass im Nebenraum liegt. Ich muss ins Hauptgebäude, EKG und Ultraschall einiger meiner Organe. Dann am Ende das so genannte Arztgespräch, in dem er mich noch einmal auf alle möglichen gesundheitlichen Punkte anspricht. Es geht darum, herauszubekommen, ob ich eine solche Spende gesundheitlich überstehen kann und natürlich noch einmal, ob ich der ideale Spender bin.

Untersuchung
Zusammenfassend liest sich das dann so:
Unauffällige Familienanamnese. Keine relevanten Vorerkrankungen oder Risikofaktoren. Keine aktuellen Beschwerden. Kein Hinweis auf akute Infektionen….keine Hepatitis, Allergien unbekannt…Guter Allgemeinzustand, normaler EZ 92,5kg, 183 cm ( a.d.A: das trifft mich hart, immerhin hatte ich Stiefel an!!!).
Vitalparameter RR 150/80, Herzfrequenz 80/min; Temperatur 36,1 Grad, HT rein und rhythmisch (ich habe Musik im Blut ) keine Ödeme, keine Infektzeichen, Milz gut (krasse 11×4 Zentimeter) Aerologisch kein Hinweis auf HIV 1/2; CMV, HAV, HBV, HCV, HTLV 1/2 vxv, HSV (Kein HSV und das als Hannover 96 Fan ist hart….) EBV, Toxiplasma Gondii (kein Toxiplasma Gondii … schade, klingt doch süüß, so ghostbustermäßig) und nüscht mit Hepatitis B…. kurzum: ich bin ein Langweiler!

Herzschlag
Es dauert noch einmal drei Tage, bis alle Laborwerte vorliegen und sich die Ärzte final für mich als Spender wünschen. Noch immer habe ich die Wahl, noch immer könnte ich „Nein!“ sagen. Aber schon lange ist klar, „ich ziehe das jetzt durch!“
Von nun an gibt es kein zurück. Ich habe einen Beutel mit Medikamenten erhalten und muss mir vier Tage lang morgens und abends ein zellförderndes Medikament in den Bauch spritzen. Das habe ich zuvor mit der Schwester geübt. Keine schöne Sache. Der Mensch hat eine natürliche Hemmschwelle, sich selbst zu verletzen. Die Spritze ist ein Gräuel.

Medikament spritzen
Aber anders geht es eben nicht. Man hat mir grippeähnliche Symptome versprochen, als Nebenwirkung. Sie können kommen, müssen aber nicht: Gliederschmerzen, Knochenschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen. Zur Sicherheit habe ich ein Paket Paracetermol mitbekommen, Aspirin ist blutverdünnend und darf nicht genommen werden. Zeitgleich liegt der Empfänger meiner Zellspende irgendwo in Deutschland und wird mit der so genannten Chemo- behandelt und mit Bestrahlung. Bei ihm werden alle eigenen Zellen abgetötet, damit er dann meine aufnimmt. Eine furchtbare Prozedur. Wenn ich jetzt aus irgendeinem Grund als Spender ausfallen würde, bedeutet das den sicheren Tod für ihn, hat man mir erklärt. Wenn diese Phase anläuft, gibt es kein zurück mehr. Denn er hat keine Abwehrkräfte mehr. Am Tag meiner Spende ist er auf Null und braucht meine Zellen. So ist das.

Mobilisierung meiner eigenen Stammzellen
Das Spritzen treibt mir den Angstschweiß auf die Stirn, wird aber mit jedem Stich leichter.

Es geht schon….
Ein Freund, der Diabetes hat und das tagtäglich machen muss, gibt mir den entscheidenden Tipp. Die Spritze locker auf die Hand legen, leicht mit dem Daumen fixieren und ohne Kraft einfach im 45 Grad Winkel einschieben. Kurz den Bauch kneifen und man spürt kaum etwas von der Nadel. So geht das. Neugierig beobachte ich meinen Körper: Wenig Nebenwirkungen … leichter Druck in den Knochen … Gliederschmerzen verhalten. Nach der Injektion kribbeln im ganzen Körper. Oder kommt das vom Adrenalin vorm zustechen? Abends gibt es zwei Portionen. Leichter Kopfdruck, so als hätte man am Abend zuvor ein Bierchen zuviel gehabt. Kein Katergefühl, aber eine leicht Unpässlichkeit. Alles in allem werde ich wenig beeinträchtigt.

Mit der Zeit geht es leichter …
Tag Zwei ist schwerer. Die Knochen melden sich, bei jedem Schritt spüre ich die Wirbelsäule, leicht erhöhte Temperatur, Kopfdruck. Für die Nacht versorge ich mich mit einer Wärmflasche und glaube, dass es Linderung bringt. Am dritten Tag fühle ich mich etwas unkonzentriert, habe leichten Kopfdruck. Den Abend spüre ich kaum Beschwerden. Der vierte Tag bleibt fast Beschwerdefrei. Ich habe Glück. Andere sollen da mehr spüren.

Mobilisierung
Noch wenige Stunden bis zur Spende. Ich finde erst spät in den Schlaf, ich bin aufgeregt. Jetzt, endlich, kann ich spenden. Ich will jetzt auch. Jetzt soll es sein. Ich habe keine Lust mehr auf Vorbereitungen.
Ein Kumpel hat versprochen, mich ins Krankenhaus zu fahren, sagt aber in letzter Minute ab, ich sprinte zur S-Bahn, das wird knapp. Um Acht Uhr soll ich dort sein. Ich werde es nicht schaffen. Um Punkt acht kommt der besorgte Anruf. „Ich brauche noch zehn Minuten!“ entschuldige ich mich, als ich die S- Bahn verlasse und Richtung Krankenhaus flitze. Richtig schnell geht es dann doch nicht, ein wenig spürt man die Knochen dann doch. 17 Minuten zu spät bin ich auf Station. Die Schwestern verzeihen mir und jetzt geht alles ganz schnell. „Na, noch mal schnell auf Toilette?“, mahnt mich Schwester Linda. „Einmal verkabelt kommt nur noch die Ente in Frage!“. Das ist ein gutes Argument. Ich flitze los. Zehn Minuten später liege ich entspannt in meinem Bett und bin verschlaucht. Noch einmal wurde mir Blut abgenommen. Damit man meinen Ausgangszustand festhalten kann. Die Maschine neben mir beginnt mit der Arbeit. Ein Zulauf, ein Ablauf, eine Zentrifuge und ein Wunderwerk der Technik, das am Ende Plasma und meine Zellen aus mir rausgefiltert haben wird.

Los geht es!
Ich glaube den Sog in mir zu spüren. Langsam wird die Leistung hochgefahren. Die Schwester ist scheinbar zufrieden. Eine Laborantin kommt. Ich habe nicht so viele Zellen produziert, wie erwartet. Manche Spender liefern mehr, manche weniger. „So ist der Mensch eben!“, tröstet mich die Schwester. Also wird mir noch eine Spritze mit dem Zeug gesetzt, das ich die vergangenen Tage injiziert habe. Noch einmal soll alles in mir mobilisiert werden.

Fünf Stunden mit je einer Kanüle im Arm.
Man liegt wie fixiert, darf die Arme nicht beugen und das über Stunden. Das ist lästig, aber zu ertragen. Ich bekomme Durst und über meiner Augenbraue juckt es plötzlich. Immer ist meine Schwester im Raum und sie ermuntert mich, alles mitzuteilen. So kratzt sie mich, gibt Kekse, stillt meinen Durst, fühlt den Puls, sieht, wenn ich zu lange Schweige und eigentlich Wasser brauche. Als meine Lippen anfangen zu kribbeln, gibt sie mit Calcium. Sie brauchen Calcium und müssen es sagen, wenn sie etwas fühlen, was sie so nicht kennen. Ich werde müde, es ist warm, die Maschine pumpt unaufhörlich mein Blut. „Sie besitzen fast sechs Liter Blut, meint die Maschine!“, teilt mir die Schwester mit, nachdem sie auf dem Touchscreen einige Werte abgelesen hat. „Wir werden bis knapp fünf Stunden brauchen und dann wird gezählt, ob die Spende reicht.“

Die Maschine.
Mit ein wenig Pech müssten wir Morgen noch einmal ran. Aber länger als fünf Stunden dürfen wir nicht sammeln!“, wird mir erklärt. Jetzt heißt es Daumen drücken. Ich nicke kurz ein. Wache auf, weil die Schwester nach mir sieht und die Schläuche sortiert. Es gibt ein sensibles Warnsystem, das aufbrüllt, sobald der Maschine etwas komisch vorkommt. Neben mir liegt ein Spender, der extra aus München anreisen musste. Wir scherzen ein wenig und dann kommt der Moment: Er braucht eine Ente. Eine Trennwand wird aufgestellt, die Ente geliefert, die Schwestern helfen ihm und verlassen dann zur Wahrung seiner Intimsphäre den Raum. „Rufen Sie, wenn Sie fertig sind!“ Die Tür schließt sich und meine Maschine brüllt los. Alarm! Das ist blöd. Warum denn jetzt? Die Schwester entschuldigen sich und huschen an meinem Nachbarn mit der Ente vorbei zu mir. Prüfen die Schläuche. Alles OK. Etwas sensibel, die Maschine. Gerade jetzt. Peinlich. Der arme Spenderkollege.

http://blog.snafu.de/unterwegs/2013/05/01/und-plotzlich-bist-du-stammzellenspender/

Werde
Lebens-
retter:in

Jetzt registrieren Slogan