Wenn die CH 53 der Bundeswehr aus Laupheim (Kreis Biberach) aufsteigen, dann haben Hubschraubermechaniker Karsten Kuhnke und seine Kameraden ihren Job gut gemacht. Sicherheit hat bei der Wartung und Instandsetzung der Fluggeräte oberste Priorität, denn das Leben der Piloten hängt davon ab. Ihre Gesichter, ihre Namen kennt der der 27 Jährige aus dem Landkreis Biberach. Das Gesicht oder den Namen des Menschen, dem er nun als Stammzellspender vielleicht das Leben gerettet hat, kennt er nicht. Von diesem Menschen weiß er nur, dass er an Leukämie erkrankt ist und ohne seine Hilfe keine Chance gegen den Blutkrebs hat.Die Geschichte beginnt im Oktober 2013: Karsten Kuhnke geht zum Blutspendetermin in seiner Kaserne. Dort wird er auf die Stefan-Morsch-Stiftung aufmerksam. Die Stiftung mit Sitz in Birkenfeld (Rheinland-Pfalz) ist die älteste Stammzellspenderdatei Deutschlands. Unter dem Leitmotiv “Hoffen – Helfen – Heilen“ bietet sie seit fast 30 Jahren Hilfe für Leukämie- und Tumorkranke. Hauptziel ist es, Menschen zu werben, sich als Stammzellspender zu registrieren. Beinahe täglich sind Teams der Stefan-Morsch-Stiftung in ganz Deutschland unterwegs, um junge Soldaten als Stammzellspender zu gewinnen. Im Jahr 2013 konnten so rund 9200 Angehörige der Bundeswehr in die Spenderdatei der Stiftung aufgenommen werden. Menschen, die sich bereit erklärt haben, im Ernstfall für einen an Leukämie erkrankten Menschen Stammzellen zu spenden und so dem Patienten die Chance auf Heilung zu geben. Die Blutentnahme findet in den meisten Fällen in Zusammenarbeit mit dem Blutspendedienst der Bundeswehr oder bei der Blutgruppenbestimmung statt.
So war es auch bei Karsten Kuhnke: „Das tut ja nicht weh, man spendet ja ohnehin Blut und dann wird einfach ein Röhrchen mehr Blut abgenommen. Mal sehen, vielleicht kann ich ja helfen“, dachte er. Für Emil Morsch, Vorstandsvorsitzender der Stiftung, ist das Engagement der Soldaten bemerkenswert: „Hier treffen wir auf Menschen, die bereit sind für andere Verantwortung zu übernehmen.“ Fast 11 000 Menschen erkranken jedes Jahr an Leukämie – mal ist es ein Vereinskollege, mal das Kind eines Kameraden. Oft ist dann eine Stammzelltransplantation ihre einzige Chance, den Blutkrebs zu besiegen. „Leider wissen viele Menschen nicht, dass jeder gesunde Mensch ab 18 Jahren mit einer Stammzelltransplantation Leben retten kann“, so die Stefan-Morsch-Stiftung, die seit Jahren junge Militärangehörige über die Chancen und Risiken der Stammzellspende informiert. Denn gerade junge Menschen bringen die besten Voraussetzungen mit, um Lebensretter zu werden. Mit Unterstützung der Bundeswehrstandorte in ganz Deutschland und des Sanitätsdienstes wächst die Zahl der typisierten Soldaten innerhalb der Spenderdatei kontinuierlich an. Der Anteil der Stammzellspender aus den Reihen der Bundeswehr liegt heute bei mehr als 35 Prozent. „Mehr als 200 Lebensretter, die die Stefan-Morsch-Stiftung im vergangenen Jahr vermittelt hat, sind Angehörige der Bundeswehr“, berichtet Emil Morsch.
Das sind Zahlen hinter denen sich Menschen verbergen. Karsten Kuhnke, der Hubschraubermechaniker aus Schönebürg bekommt schon im Januar 2014, die Nachricht von der Stefan-Morsch-Stiftung, dass er gebraucht wird. Seine genetischen Merkmale passen zu einem Patienten. Wie viele Menschen, hat auch er zunächst Vorurteile: „Ich dachte, das wird aus dem Rückenmark entnommen“, erzählt der junge Familienvater. Zwei Kinder hat er schon und im August kommen Zwillinge dazu. Kuhnke trägt also nicht nur im Job Verantwortung….
Doch sein Vorurteil ist inzwischen ausgeräumt: „Knochenmark wird immer aus dem Beckenkamm entnommen.“ So kann Karsten Kuhnke nicht nur einen Hubschrauber zum Fliegen bringen, sondern inzwischen auch gute Aufklärungsarbeit in Sachen Stammzellspende leisten: „Wird ein passender Spender gefunden, kontaktiert die Stefan-Morsch-Stiftung den Spender. Ich wurde erneut gefragt, ob ich freiwillig und unentgeltlich für einen unbekannten Patienten spenden möchte.“ Dann folgt eine Reihe von Voruntersuchungen, um herauszufinden, ob er wirklich der optimale Spender ist. Gleichzeitig soll ausgeschlossen werden, dass der Spender ein gesundheitliches Risiko eingeht. „Danach weiß man, dass man wirklich gesund ist. Ein echt gutes Gefühl“, so Kuhnke. Die Mitarbeiter der Stiftung beraten und begleiten den Spender während dieser ganzen Vorbereitungsphase. Jegliche Kosten für die Untersuchungen, die Versicherung, An- und Abreise zum Entnahmeort werden übernommen.
Dann beginnt die entscheidende Phase vor der Transplantation: Mit der Übertragung von Stammzellen bekommt der Patient ein neues blutbildendes System. Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark. Um sie zu übertragen, gibt es heute die Möglichkeit peripherer Blutstammzellen aus dem Blut zu entnehmen – ähnlich wie bei einer Plasmaspende oder Dialyse. Dazu wird dem Spender einige Tage lang ein körpereigener Botenstoff verabreicht, der die Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut übergehen lässt. Die Nebenwirkungen – Kopf- und Gliederschmerzen – hat Karsten Kuhnke deutlich zu spüren bekommen: „Das war nicht schön!“ Aber sie verschwinden mit der Entnahme der Stammzellen wieder. Auch diese Erfahrung hat der Mann gemacht, der im Moment ein eigenes Haus für seine bald große Familie baut. In der Entnahmestation der Stefan-Morsch-Stiftung in Birkenfeld wurden die Stammzellen aus dem Blut herausgefiltert bzw. zentrifugiert. Apherese heißt dieses Verfahren, das heute am häufigsten angewandt wird. Weder der Spender noch der Patient erfahren zu diesem Zeitpunkt, wer der andere ist. Spender und Empfänger bleiben in jedem Fall bis zum Ablauf von zwei Jahren anonym. Erst danach besteht die Möglichkeit, je nach Gesetzeslage des Landes, in dem der Patient lebt, dass Spender und Patient einander kennenlernen können.
Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg: Parallel zur Vorbereitung des Spenders wird in der behandelnden Transplantationsklinik auch der Patient vorbereitet. Das bedeutet: Sein Immunsystem wird komplett ausgeschaltet – durch Bestrahlung oder/und Chemotherapie. Wenn er sich jetzt mit einem Virus infiziert oder es aus irgendeinem Grund mit der Stammzellspende nicht klappt, ist sein Leben massiv gefährdet. Emil Morsch, Vorstandsvorsitzender der Stefan-Morsch-Stiftung: „Eine Transplantation ist immer eine letzte Chance. Für den Patienten ist dies eine hoch belastende Therapie.“
Karsten Kuhnke hat seinen Beitrag dazu geleistet, dass „sein“ Empfänger eine Chance bekommt. Seine Frau ist „stolz“ auf ihn. Und er? „Da ich jetzt weiß, dass die Kopf- und Gliederschmerzen nach der Entnahme weg sind, würde ich es wahrscheinlich wieder machen“, sagt er und lächelt. Ein paar Minuten vorher hat er den Satz gesagt: „Mit einer Stammzellspende die Chance zu haben, ein Leben zu retten. Das kann man gar nicht schlecht finden.“