Hoffen – Helfen – Heilen

Thomas Sliwka aus Fröndenberg (Kreis Unna) ist nicht der Typ, der sich verdrückt, wenn er gebraucht wird. Jetzt wurde der 36-Jährige gebraucht. Denn irgendwo auf der Welt gibt es einen ihm völlig unbekannten Menschen, der an Leukämie erkrankt ist und genau die gleichen Gewebemerkmale hat wie der Steuerberater. Und dieser Patient – ein Mann, eine Frau oder ein Kind – braucht dringend Thomas Sliwkas Stammzellen, um überhaupt eine Chance zu haben, den Blutkrebs zu besiegen.Die Stefan-Morsch-Stiftung, die älteste Stammzellspenderdatei Deutschlands, leistet seit fast 30 Jahren Hilfe für Leukämie- und Tumorkranke. Hauptziel der Stiftung ist es, Menschen zu werben, sich als Stammzellspender zu registrieren. Beinahe täglich sind Teams der Stiftung in ganz Deutschland unterwegs, um junge Menschen als Stammzellspender zu gewinnen. Vor zwölf Jahren war ein solches Team in Menden (Märkischer Kreis). Damals haben sich 115 Menschen als potenzielle Lebensretter registrieren lassen. Thomas Sliwka war einer von ihnen: „Eine Typisierung ist eine sehr gute Sache – das mache ich“, sagte er sich damals.
Eine Sprecherin der Stiftung erklärt: „Als Typisierung bezeichnet man die eigentlichen Laborarbeiten, die für eine Aufnahme in die Stammzellspenderdatei notwendig sind. Aus einer Blutprobe – es genügt ein Fingerhut voll Blut – werden die für eine Transplantation relevanten Gewebemerkmale (HLA-Werte) im Labor bestimmt. Das gleiche funktioniert auch mit einem Abstrich der Mundschleimhaut.“ Damit hatte der 36-Jährige den ersten Schritt auf dem Weg zum Lebensretter getan.
Leukämie ist nur eine der bösartigen Erkrankungen, die eine Übertragung gesunder Blutstammzellen erfordern können. Mit der Transplantation von Stammzellen bekommt der Patient ein neues blutbildendes System – seine einzige Chance auf Leben, wenn Chemotherapie oder Bestrahlungen nicht geholfen haben. Eine solche Transplantation ist aber nur möglich, wenn es Menschen wie Thomas Sliwka gibt, die sich typisieren lassen – sprich: als Stammzellspender einer Spenderdatei erfasst sind. Um Stammzellen transplantieren zu können, müssen die Gewebemerkmale von Spender und Patient übereinstimmen. So sind in den Knochenmark- und Stammzellspenderdateien wie der Stefan-Morsch-Stiftung zwar weltweit über 20 Millionen Menschen registriert – trotzdem ist es immer noch ein Glücksfall, wenn sich für einen Patienten ein passender Spender findet.
Thomas Sliwka ist so ein Glücksfall. Als steuerlicher Berater arbeitet er bei der Parfümerie Douglas in Hagen. Nach Feierabend steht für ihn Zeit mit seiner Familie ganz oben. Wenn er gebraucht wird, trainiert er als Aushilfstrainer die E-Jugend bei den Fußballern des SC Fröndenberg-Hohenheide, wo der ältere seiner beiden Söhne spielt. Im März 2014 klingelt das Telefon: Eine Mitarbeiterin der Stefan-Morsch-Stiftung informiert ihn darüber, dass er als Spender für einen Leukämiekranken in Frage kommt und fragt ihn, ob er ihm helfen möchte. „Der Anruf kam kurz vor der Kommunion meines Sohnes. Da hatte ich eigentlich andere Gedanken. Ich war im Zwiespalt, ob ich das machen soll. Einerseits wollte ich ein Leben retten, andererseits wusste ich nicht, was alles auf mich zukommt. Die Hoffnung, helfen zu können, hat schließlich überwogen“, erzählt Sliwka ehrlich. Seine Familie hat Angst um ihn. Aber nachdem er ihnen alles erklärt, bestärken sie ihn. Auch seine Vorgesetzten unterstützen sein Vorhaben.
Bevor Thomas Sliwka Stammzellen spenden darf, wird er umfassend aufgeklärt und gründlich untersucht. Diese Voruntersuchungen dienen dazu herauszufinden, ob er wirklich der optimale Spender ist. Gleichzeitig soll ausgeschlossen werden, dass er als Spender ein gesundheitliches Risiko eingeht. Die Mitarbeiter der Stiftung beraten und begleiten den Sliwka während dieser ganzen Vorbereitungsphase. Jegliche Kosten für die Untersuchungen, die Versicherung sowie An- und Abreise zum Entnahmeort werden übernommen.
Dann beginnt die entscheidende Phase vor der Transplantation: Die Stammzellen befinden sich im Knochenmark. Um sie zu übertragen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Entnahme peripherer Blutstammzellen aus dem Blut – ähnlich wie bei einer Plasmaspende oder Dialyse. Dazu wird dem Steuerberater einige Tage lang ein körpereigener Botenstoff verabreicht, der die Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut übergehen lässt. In einer Entnahmestation werden dann die Stammzellen aus dem Blut herausgefiltert bzw. zentrifugiert. Apherese heißt dieses Verfahren, das heute am häufigsten angewandt wird.
Bei der klassischen Methode – der Knochenmarkspende – entnehmen die Mediziner Knochenmark aus dem Beckenknochen des Spenders – niemals aus dem Rückenmark. Dieser Eingriff dauert zirka eine Stunde. Weder der Spender noch der Patient erfahren zu diesem Zeitpunkt, wer der andere ist. Thomas Sliwka und sein Empfänger bleiben in jedem Fall bis zum Ablauf von zwei Jahren anonym. Erst danach besteht die Möglichkeit, je nach Gesetzeslage des Landes, in dem der Patient lebt, dass Spender und Patient einander kennenlernen können.
Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg: Parallel zur Vorbereitung von Thomas Sliwka wird in der behandelnden Transplantationsklinik der Patient vorbereitet. Das bedeutet: Sein Immunsystem wird stark unterdrückt oder sogar ausgelöscht – durch Bestrahlung oder/und Chemotherapie. Wenn er sich jetzt mit einem Virus infiziert oder es aus irgendeinem Grund mit der Stammzellspende nicht klappt, ist sein Leben massiv gefährdet. Emil Morsch, Vorstandsvorsitzender der Stefan-Morsch-Stiftung: „Eine Transplantation ist immer eine letzte Chance. Diese Chance hat er nur durch Thomas Sliwka“.
Der Familienvater hat sich für die Apherese entschieden und nach der Entnahme wirbt er dafür, sich typisieren zu lassen: „Mehr Leute müssten bereit sein, sich typisieren zu lassen. Wenn Leukämie mich oder jemandem aus meiner Familie treffen würde, würde ich mir auch erhoffen, dass ein Spender gefunden wird.“

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