17. März 2016

Blutkrebs: „Niemand kann sich zurücklehnen“

Stammzellspende rettet Leben. Seit 30 Jahren klärt die Stefan-Morsch-Stiftung in bundesweiten Kampagnen darüber auf, welche Heilungschancen die Transplantation von Stammzellen und Knochenmark für Leukämiekranke bietet. Sie wirbt dafür, sich als Stammzellspender typisieren zu lassen. Der Hämatologe Dr. Harald Biersack vom Universitätsklinikum in Lübeck ist ein erfahrener Transplanteur. Im Interview erklärt er, wie heute die Transplantationskliniken bei der Auswahl von Stammzellspendern für ihre Patienten vorgehen und warum Männer die geeigneteren Spender sind.Weltweit sind mittlerweile 27 Millionen Spender in den verschiedensten Stammzellspenderdateien registriert: Gibt es immer noch Patienten, die keinen passenden Spender finden?
Dr. Biersack: „Gerade Menschen mit Migrationshintergrund finden häufig immer noch keinen passenden Spender. Deshalb sollten sich gerade Menschen aus dieser Bevölkerungsgruppe in Deutschland typisieren lassen. Ansonsten findet man mit ausreichend Zeit für die Suche für etwa 85 Prozent der Patienten einen geeigneten Spender.“
Die Stefan-Morsch-Stiftung organisiert immer wieder Typisierungsaktionen, bei denen vorwiegend Migranten angesprochen werden. Sie verjüngt zudem ihre Datei, indem sie auch bei der deutschen Bevölkerung besonders junge Menschen anspricht. Nach Angaben des Zentralen Knochenmarkspender-Registers Deutschland (ZKRD) stehen für die überwiegende Mehrheit der Patienten Stammzellspender zur Verfügung – manchmal sogar mehrere zur Auswahl. Wie sehen Sie als Transplanteur diese Entwicklung?
Dr. Biersack: „Es stimmt, in vielen Fällen stehen uns weitgehend kompatible Spender zur Verfügung – manchmal sogar mehrere. Deshalb gilt heute: Wir suchen nicht mehr nur einen Spender, sondern wir suchen den optimalen Spender, um die Überlebenschancen der Patienten weiter zu steigern.“

Nach welchen Kriterien treffen Sie Ihre Auswahl?
Dr. Biersack: „Der beste Spender ist derjenige, dessen HLA-Gewebemerkmale am kompatibelsten mit denen des Patienten sind. Man sagt 10 von 10 dieser Merkmale sollten übereinstimmen. Häufig müssen wir jedoch noch mit so genannten Mismatches (Abweichungen) transplantieren, weil der optimale Spender für diesen einen, jetzt akuten Patienten noch nicht typisiert ist. Deshalb kann sich niemand zurücklehnen und sagen: Es gibt schon genug Spender.“

Die Chance einen Spender zu finden, dessen HLA-Werte in 10 von 10 hier abgebildeten Merkmalen übereinstimmen, liegt bei 1: 10.000 bzw. 1: mehreren Millionen. Foto: Stefan-Morsch-Stiftung

Die Chance einen Spender zu finden, dessen HLA-Werte in 10 von 10 hier abgebildeten Merkmalen übereinstimmen, liegt bei 1: 10.000 bzw. 1: mehreren Millionen. Foto: Stefan-Morsch-Stiftung

Was bedeutet es, wenn die Patienten mit einem Mismatch transplantiert werden müssen, weil kein vollständig kompatibler Spender zur Verfügung steht? 
Dr. Biersack: Transplantation mit einem Mismatch bedeutet ein deutlich erhöhtes Risiko für die Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion (GvHD). Diese kann einerseits direkt das Überleben des Patienten beeinflussen, andererseits bei einem chronischen Verlauf zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten führen.
Wie beeinträchtigt eine chronische GvHD die Lebensqualität der Patienten?
Dr. Biersack: Bei einer chronischen Transplantat-gegen- Wirt-Reaktion (GvHD) sind dauerhaft Medikamente notwendig, um die Aktivität des fremden, transplantierten Immunsystems gegen den Körper des Patienten zu unterdrücken. Die Folge ist: Durch diese Medikamente wird der Patient anfälliger für Infektionen. Ein spezielles Beispiel: Gerade die Reaktion an der Haut des Patienten kann eine schlechtere Beweglichkeit der Haut, der Unterhaut und des Bewegungsapparates hervorrufen. Damit ist die körperliche Leistungsfähig mehr oder weniger schwer eingeschränkt.
Wenn mehrere Spender zur Auswahl stehen – wie ist dann das Auswahlverfahren?
Dr. Biersack: „Ganz klar. Das Geschlecht ist ein entscheidender Faktor. Frauen sind die weniger geeigneten Spender.“
Das verunsichert viele Frauen – und gerade Mütter, die hoch motivierte Spenderinnen sind – aber in den Statistiken der Stefan-Morsch-Stiftung zeigt sich ebenfalls: In der Spenderdatei beträgt der Frauenanteil 49 Prozent, weil die Stiftung sich seit Jahren bemüht, verstärkt junge Männer als Stammzellspender zu gewinnen. Der Frauenanteil der von den Kliniken ausgewählten Spender liegt aber derzeit bei rund 11 Prozent … Warum ist das so?
Dr. Biersack: „Über die Jahre hinweg haben wir beobachtet und in großen Studien statistisch bewiesen, dass die Transplantate – sprich die Stammzellen – von Frauen, ein größeres Risiko in sich tragen im Körper des Empfängers die Transplantat-gegen-Wirt-Erkrankung hervorzurufen. Dies liegt mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass das weibliche Immunsystem während Schwangerschaften durch das „Fremdeiweiß“ der eigenen, ungeborenen Kinder sensibilisiert wird. Das mütterliche Immunsystem gewinnt dadurch mehr Potenz fremde Strukturen zu erkennen und anzugreifen. Nichts anders passiert bei der Transplantat- gegen-Wirt- Reaktion (GvHD).
Fassen Sie bitte noch einmal zusammen, welche Prioritäten Sie als Transplanteur bei der Spenderauswahl setzen?
Dr. Biersack: „Entscheidend ist die HLA-Kompatibilität! Männer sind die bevorzugten Spender. Im Einzelfall, wenn zum Beispiel kein männlicher Spender zur Verfügung steht, ist man aber um jede passende weibliche Spenderin froh.
Welche Rolle spielt das Alter der Spender? Und warum?
Dr. Biersack: Statistisch belegt ist ein besseres Anwachsen der Transplantate von jungen Spendern. (dji)

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