Hoffen – Helfen – Heilen

Marco Rörig durchstöbert dieser Tage seinen Dachboden in Elz bei Limburg an der Lahn: Der 29-Jährige sucht einen Brief. Dieser Brief ist neun Jahre alt und von einem Mann aus der Nähe von Hamburg, den er gar nicht kennt. Den er unbedingt aber mal kennenlernen möchte, weil er diesem Mann vor neun Jahren das Leben gerettet hat. Und es jetzt wieder versucht. Es ist eine Geschichte von Leben und Tod, von Angst und Glück – wie sie jeden Tag hundertfach passiert: Statistiken besagen, dass alle 45 Minuten in Deutschland ein Mann, eine Frau oder ein Kind die Diagnose „Leukämie“ erhält. Momente, in denen Welten zusammen brechen. Chemotherapie, Bestrahlung sind Möglichkeiten, den Blutkrebs zu bekämpfen. Aber wenn sie nicht helfen, bietet die Transplantation von Stammzellen oft die einzige Chance, das Leben zu retten. Diese Chance eröffnet sich aber nur, wenn es Menschen gibt, die sich als Stammzellspender registrieren lassen. Marco Rörig hat das im Oktober 2003 getan: „In Westerburg gab es einen Typisierungsaufruf der Stefan-Morsch-Stiftung für einen an Leukämie erkrankten Polizisten.“ Damals wurden aus Rörigs Blutprobe die Gewebemerkmale bestimmt und in der ältesten Stammzellspenderdatei Deutschlands gespeichert. Dort laufen täglich Suchanfragen für Patienten auf, die eine Stammzellspende benötigen. Die behandelnden Ärzte suchen dann nach einem genetisch kompatiblen Spender. Denn nur 30 Prozent der Patienten finden einen passenden Spender in der eigenen Familie. Alle anderen Patienten brauchen einen so genannten „Fremdspender“ – wie Marco Rörig.
Der Eintracht Frankfurt Fan war damals gerade Mal 21 Jahre alt und der ideale Spender für den Patienten aus Norddeutschland. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, dass er hilft und Stammzellen spendet: „Das war völlig problemlos.“ Mit der Transplantation von Stammzellen bekam der Patient ein neues blutbildendes System. Um sie zu übertragen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Entnahme von Knochenmark durch Punktion des Beckenkamms – niemals auf dem Rückenmark – wie oft fälschlicherweise behauptet wird. Oder: Die Entnahme peripherer Blutstammzellen aus dem Blut – ähnlich wie bei einer Plasmaspende oder Dialyse. Dazu wird dem Spender vorher ein körpereigener Botenstoff verabreicht, der die Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut übergehen lässt. In einer Entnahmestation werden dann die Stammzellen aus dem Blut herausgefiltert. Apherese heißt dieses Verfahren. „Ich war hinterher so fit, dass ich abends noch auf eine Weihnachtsfeier gegangen bin“, erinnert sich der heute 29 Jährige Lebensretter.
Nach der Spende bekommt er einen Brief von dem Mann, dem er geholfen hat. „Das war ein toller Brief. Ich hatte Gänsehaut“, erzählt Marco Rörig. Anonymisiert ist es möglich, dass sich Spender und Empfänger direkt nach der Spende kontaktieren. Nach zwei Jahren ist dann – wenn beide Seiten damit einverstanden sind – in einigen Ländern wie Deutschland – ein direktes Treffen möglich. Marco Rörig hat damals aus dem Brief erfahren, dass der Mann für den er gespendet hat, 70 Jahre alt ist. „Ich weiß nicht warum, aber ich habe diesen Brief leider nie beantwortet. Die Spende war selbstverständlich … aber die richtigen Worte zu finden, ist mir vielleicht damals schwer gefallen“, erzählt Rörig, der inzwischen bei Tetra-Pak in der Druckvorstufe arbeitet und sich mit seiner Freundin eine Familie aufbauen will.
Vor wenigen Wochen dann bekam Marco Rörig eine neue Nachricht von der Stefan-Morsch-Stiftung: Der Mann aus der Nähe von Hamburg lebt. Er hat dank der Stammzellspende bis heute überlebt. Ein toller Erfolg. Aber: Er braucht noch einmal die Hilfe von Marco Rörig …
Sieglinde Wolf, Leiterin der Entnahmestation der Stefan-Morsch-Stiftung, erklärt: „Treten bei dem Patienten auch nach der Übertragung von Stammzellen Komplikationen auf, entscheidet das behandelnde Transplantationszentrum sich bisweilen dafür, das blutbildende System mit einer weiteren Lymphozyten-Infusion zu unterstützen.“ Rörig hat sofort „ja“ gesagt. Er freut sich, wieder helfen zu können. In seiner Freischicht ist er nach Birkenfeld zur Entnahmestation gereist, um zu spenden. Und dieses Mal will er die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, Kontakt aufzunehmen. „Ich will ihn kennenlernen und meine ganze Familie ist auch schon total gespannt darauf – besonders meine Oma.“ Die Stefan-Morsch-Stiftung wird ihm dabei behilflich sein. Außerdem will er den Brief von damals wiederfinden. „Ich habe schon das ganze Haus auf den Kopf gestellt, aber es gibt noch eine Kiste auf dem Dachboden …“

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