Hoffen – Helfen – Heilen

Eine Kerze, zwei Schlüsselanhänger und ein 14-jähriger Junge in Russland beschäftigen seit einigen Wochen die 33-jährige Verena Holtmann aus Ochtrup (Kreis Steinfurt). Denn die Mutter eines 3-jährigen Mädchens hat Stammzellen für einen ihr unbekannten Jungen gespendet. Er ist an Leukämie erkrankt und die Transplantation von gesunden Stammzellen ist seine letzte Chance, wieder gesund zu werden. Zufällig hat die Technische Zeichnerin die gleichen genetischen Gewebemerkmale wie der Patient. Immer wieder zündet sie eine Kerze für ihn an und denkt an ihren „Blutsbruder“, mit dem sie nicht nur Gewebemerkmale gemeinsam hat, sondern auch einen Schlüsselanhänger in Form einer Wolke – als Glücksbringer und als Symbol ihrer ganz besonderen Verbindung miteinander.
Rund 11.000 Mal im Jahr wird die Diagnose Leukämie gestellt – allein in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Patienten sind Kinder. Wenn Chemotherapie und/oder Bestrahlung nicht mehr helfen, kann nur noch die Transplantation von gesunden Stammzellen den Patienten Hoffnung auf Heilung geben. Fast täglich sind Mitarbeiter der Stefan-Morsch-Stiftung, Deutschlands ältester Stammzellspenderdatei, bundesweit unterwegs, um Menschen zu finden, die dazu bereit sind, sich als Stammzellspender registrieren zu lassen – Menschen wie Verena Holtmann. Im Herbst 2013 ergriff sie die Gelegenheit und ließ sich während einer DRK-Blutspendeaktion als Stammzellspenderin registrieren. Vor Ort waren auch Mitarbeiter der Stefan-Morsch-Stiftung, die seit Herbst vergangenen Jahres in Sachen „Lebensretter gesucht“ mit dem DRK-Blutspendedienst West kooperiert. „Ich wusste schon vorher, dass man sich dort auch typisieren lassen konnte und wollte das machen“, erzählt Verena Holtmann, „leider konnte ich an dem Tag kein Blut spenden, aber die Typisierung hat trotzdem geklappt.“ Und das war ganz einfach: Sie lässt sich genau über Stammzellspende aufklären und unterschreibt dann die Einverständniserklärung. Einen Fragebogen über ihren aktuellen Gesundheitszustand muss sie noch ausfüllen, bevor, in ihrem Fall, mit einem sterilen Wattestäbchen ein Abstrich der Mundschleimhaut gemacht wird. Die Gewebeprobe wird im hauseigenen Labor der Stiftung auf die Gewebemerkmale, die sogenannten HLA-Werte, untersucht. Benötigt ein Patient eine Transplantation, werden seine HLA-Werte mit denen in den Spenderdateien weltweit verglichen. Zehn von zehn dieser Merkmale stimmen im Idealfall überein.

Keine vier Wochen waren vergangen, als sich eine Mitarbeiterin der Stiftung bei Verena Holtmann meldete: Womöglich stimmt ihr genetischer Code mit dem eines Leukämiepatienten überein, ob sie zu einer Spende bereit wäre. „Natürlich“, ist Verena Holtmanns Antwort, „ich weiß,dass ich damit vielleicht jemandem helfen kann.“ Einen Tag später erhält sie schon das Blutentnahme-Set, mit dem ihr der Hausarzt Blut entnimmt. Das Set schickt sie per Post wieder an die Stiftung zurück, wo die Blutproben genauer untersucht werden. Kurz vor Weihnachten kam dann wieder Post von der Stiftung: Volltreffer! Verena Holtmanns HLA-Werte stimmen mit denen des Patienten überein. Aber die Entscheidung des Transplantationsklinikums stehe noch aus. „Wow, ob der Patient wohl weiß, dass vielleicht ein Spender gefunden wurde?“, überlegt Holtmann zu diesem Zeitpunkt.

Am Tag nachdem sie den Brief der Stefan-Morsch-Stiftung bekommen hat, besucht Verena Holtmann ein Konzert von einem Musiker, der schon in „Knocking on heaven’s door“ den krebskranken Rudi Wurlitzer spielt: Jan Josef Liefers. Dort hörte sie zum ersten Mal das Lied „Gute Nachricht“ und das passt so richtig gut zu ihrer Geschichte – Hoffnung auf ein neues Leben!“

Nach vier Wochen erfährt sie: „Ich wurde als Spender ausgesucht.“ Das überraschte sie: „Als die Mitarbeiterin der Stiftung aufgelegt hatte, musste ich mich erst mal setzen.“ Trotzdem stand für sie von Anfang an fest, dass sie hilft. Ihr Mann sowie der Rest der Familie steht hinter ihrer Entscheidung: „Meine Familie war ganz angetan davon, dass ich spenden möchte. Alle sagten mir ihre Unterstützung zu.“ Auch ihr Chef bei der Wedi GmbH, einem Unternehmen für Baustoffe und –elemente für Badezimmer in Emsdetten, ist begeistert und stellt Holtmann für die erforderlichen Termine frei. „Meinen Verdienstausfall spendet die Firma an die Stiftung“, erklärt Holtmann. „Das ist vorbildhaft, dass der Arbeitgeber sich so hinter die Spenderin stellt und die Hilfe für Leukämie- und Tumorkranke auch noch finanziell unterstützt“, erklärt eine Sprecherin der gemeinnützigen Stiftung.

Mit der Transplantation von Stammzellen bekommt der Patient ein neues blutbildendes System. Diese Stammzellen befinden sich im Knochenmark. Um sie zu übertragen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Entnahme von Knochenmark aus dem Beckenkamm – niemals aus dem Rückenmark. Die zweite Möglichkeit ist die Entnahme peripherer Blutstammzellen (Apherese) aus dem Blut – ähnlich wie bei einer Dialyse. Dazu wird dem Spender vorher ein körpereigener Botenstoff verabreicht, der die Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut übergehen lässt. In einer Entnahmestation werden dann die Stammzellen herausgefiltert.

Verena Holtmann spendete Knochenmark. Am Tag vor der Voruntersuchung ruft unerwartet wieder die Stefan-Morsch-Stiftung an: Wegen einer Infektion des Patienten musste die Entnahme um vier Wochen verschoben werden.

Täglich denkt Holtmann an den Patienten: „Jeden Abend habe ich eine Kerze für den Patienten aufgestellt, als Zeichen der Hoffnung.“ Als sie am Tag der Entnahme in die Entnahmeklinik geht, ist sie nervös. Es ist ihre erste Operation: „Ich hab mir in Erinnerung gerufen, dass ich was Gutes tue und es dem Patienten viel schlechter geht.

Verena Holtmann ist umfassend über das was ihr bevorsteht aufgeklärt worden. Genauere Informationen, dass es um einen 14-jährigen Jungen in Russland geht, erfährt sie aber erst nach dem Eingriff. Mit im Gepäck hat sie Geschenke für den Patienten: Eine Karte, Schokolade, einen Schutzengel und einen Schlüsselanhänger in Wolkenform als Glücksbringer. „Ich habe den selben Anhänger“, sagt Holtmann, „als Symbol zwischen dem Patienten und mir.

Den Eingriff hat Verena Holtmann gut überstanden: „Die erste Nacht war unbequem, aber die Schmerzen hielten sich in Grenzen.“ Mit ihren Gedanken ist sie immer noch bei dem Patienten: „Ich habe noch oft die Kerze an und schicke ihm ein paar gute Gedanken“, erzählt sie. Auch wenn sie frühestens vier Monate nach der Transplantation erfahren kann, wie es dem Patienten geht, ist für sie schon jetzt klar: „Ich würde es sofort wieder machen!“

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